,,Es gibt viel Gutes im Menschen, man muss es nur wecken!”
Veranstaltung mit dem Antisemitismusbeauftragten Dr. Michael Blume
Montag, 27.01.2020
Der 27. Januar 1945 – vor 75 Jahren wurden die wenigen Überlebenden des Konzentrationslagers in Auschwitz befreit. Doch obwohl der Zweite Weltkrieg bereits Jahrzehnte zurückliegt, ist diese Geschichte noch lange nicht abgeschlossen. Schließlich gestaltet jeder Einzelne von uns Geschichte und das nicht nur im Jahr 2020, sondern jeden Tag.
Anlässlich des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus widmet auch das Bach-Gymnasium in Mannheim seine Gedanken den unzählig ermordeten Menschen der NS-Gewaltherrschaft. Mittels einer Ausstellung im Foyer der Schule erzeugt die SMV für alle Mitschüler*innen und Gäste eine Vorstellung von den Gräueltaten unter Hitler. Auch der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg, Herr Dr. Michael Blume, hat es sich nicht nehmen lassen, das Bach-Gymnasium an diesem bedeutenden Tag zu besuchen. Angesichts der schwindenden Aufmerksamkeit in den öffentlichen Medien, möchte er gerade bei den Schülern sowie Lehrern ein Bewusstsein für Judenfeindlichkeit wecken. Deshalb ist es eine große Ehre, am Vortrag des baden-württembergischen Antisemitismusbeauftragten in der fünften und sechsten Schulstunde teilzunehmen. Sowohl die elfte Klasse als auch die Kursstufen 1 und 2 nehmen in der Aula Platz, in der sich knapp 250 Augenpaare auf Herr Dr. Blume richten. Bevor dieser seinen Vortrag beginnt, gibt Keanu Rubio Cepeda aus der Kursstufe 1 ein bewegendes Klavierspiel zum Besten. Daraufhin tritt die Direktorin Frau Frauenknecht nach vorne und begrüßt zunächst alle Anwesenden, darunter natürlich Herrn Dr. Michael Blume und seine zwei Mitarbeiterinnen Alina Dörn und Sybille Hoffmann sowie die Vertreter des Mannheimer-Morgens. In ihrer Einführung erzählt sie von der fesselnden Autobiografie des dreifachen Familienvaters Blume, die sie bereits vor mehr als eineinhalb Jahren dazu bewogen habe, ihn an das Bach-Gymnasium einzuladen. Denn gerade durch das Leben in einer „Blase“ – wie sie sagt – empfinden wir den Alltag in Frieden und Harmonie zu sehr als Selbstverständlichkeit. Daher sei es wichtig, diese Illusion durch einen Blick in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufzubrechen.
Dass eine aktive Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte möglich ist, zeigen zwei Schüler des Bach-Gymnasiums, die an einem Israel-Austausch teilgenommen haben und nun zu „Peer-Guides“ der Anne-Frank-Ausstellung ausgebildet werden. Coloma Gerber und Liam Gutknecht haben ihre Erlebnisse in einem Film festgehalten, an dem sie die Anwesenden teilhaben lassen. Szenen des Kontakts und der Vergebung zwischen deutschen Schülern und einer israelischen Frau zeigen, dass wir das Geschehene nicht mehr rückgängig machen, aber ein Bewusstsein dafür schaffen können, mit dem wir jedem Menschen gleichermaßen offen entgegentreten.
Auf diesem Weg möchte uns auch der baden-württembergische Antisemitismusbeauftragte begleiten. Obwohl Herr Dr. Michael Blume viele Einladungen zu Gedenkveranstaltungen erhalten habe, war ihm der Besuch am Bach-Gymnasium ein besonderes Anliegen. Dabei ist es keineswegs seine Intention, Schuldgefühle angesichts der ermordeten Juden zu verursachen, sondern die Bereitschaft für ein Leben in Frieden, Freiheit und Vielfältigkeit zu wecken. Denn dies sei keine Selbstverständlichkeit, wie Herr Dr. Michael Blume im Jahre 2015 im Irak feststellen musste. Von dort aus bekämpft die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) Israel als „jüdische Supermacht“. Diesen Hass am eigenen Leib zu erfahren, sei eine ganz neue Erfahrung gewesen, die ihn in seiner Aufgabe als Antisemitismusbeauftragter nur noch mehr bestärkt habe.
Doch woher kommt eigentlich dieser Hass gegen Juden? Der studierte Religionswissenschaftler Dr. Blume hat darauf eine plausible Erklärung: Es sei die Bildung, die Jüdinnen und Juden schon zu Zeiten Christi befähigte, die Gesellschaft voranzutreiben. Obwohl nur 0,2% der Weltbevölkerung Juden seien, haben sie etwa 20% aller Nobelpreise gewonnen – so Herr Dr. Blume. Dieser Fortschritt stößt allerdings des Öfteren auf Widerstand und Neid, der sich im Antisemitismus verschärft hat. Daher sei der Judenhass vielmehr eine Projektion der eigenen Unzufriedenheit auf eine Minderheit, gegen die man auch schon in früheren Zeiten Vorurteile hegt. Geschickt haben die Nationalsozialisten bereits die Macht der Medien genutzt, um öffentliche Meinungsbildung in ihrem Interesse zu bewirken. Auch heute ist es kein seltenes Phänomen, dass man in sozialen Netzwerken auf antisemitische oder radikale Beiträge trifft, die in Form von Bildern oder Satire zugänglicher gemacht werden. Daraus erwächst schnell eine Gemeinschaft anonymer Antisemiten, die das Internet als Plattform ihrer Ideologien nutzen. Davon will sich Herr Dr. Michael Blume aber bewusst abgrenzen, indem er bereits seit einiger Zeit aus den sozialen Netzwerken ausgestiegen ist. Zu dieser Entscheidung haben ihn anonymer Hass sowie ernstzunehmende Anfeindungen bewogen. Nichtsdestotrotz ist der Antisemitismusbeauftrage der Meinung, dass man auch ohne die Nutzung medialer Kanäle aktiv zur Aufklärung beitragen könne. Demokratie funktioniere sowieso besser im Gespräch, so Herr Dr. Blume. Deshalb ist ihm der direkte Austausch mit den jungen Bürgern besonders wichtig, die ihm im folgenden Dialog ihre Fragen formulieren konnten.
- Was kann man präventiv gegen Antisemitismus tun?
Bezüglich der Prävention von Antisemitismus entgegnet Herr Dr. Blume: „Bildung hilft, aber nur, wenn es auch eine Bildung des Herzens ist.“ Darüber hinaus ergänzt er, dass die Herkunft eines Menschen in Bezug auf seine Denkmuster enorm prägend sei. Daher helfe es nur, sich von gewohnten Strukturen zu lösen und sich ein eigenes Bild zu Sachverhalten zu machen, indem man sich gezielt damit auseinandersetzt.
- Woher kam die Anziehungskraft der Nationalsozialisten?
Herr Dr. Michael Blume erklärt sich dieses Phänomen einerseits durch eine unwissende Gesellschaft, aber andererseits auch durch Gruppenzwang. Sobald eine Meinung als allgemeingültig oder selbstverständlich angesehen wird, sei es schwer, sich dagegen zu wehren. Dabei bezieht er sich nicht nur auf die Ideologien der Nazis, sondern überträgt diese Erklärung auch auf die heutige Gesellschaft. Aber das sei kein Grund für zu schnelle Vorurteile oder Ablehnung gegenüber rechtsdenkenden Menschen. Auf eine nächste Frage entgegnet der Antisemitismusbeauftragte nämlich, dass er auch den Menschen auf Augenhöhe begegnet, die sich mit dem Antisemitismus identifizieren. „Es gibt viel Gutes im Menschen, man muss es nur wecken“, fügt Herr Dr. Michael Blume hinzu. Des Weiteren könne man diese Denkweisen auch umkehren, solange man die Person hinter ihrem Standpunkt nicht aufgibt.
- Was sind Ihre Beweggründe für die Arbeit als Antisemitismusbeauftragter?
Obwohl der gelernte Finanzassistent selbst behauptet, er arbeite in einem Amt, welches er am liebsten abschaffen würde, kann er die Frage mit einem Zitat seines Ministeriums beantworten: „Herr Dr. Michael Blume ist Christ, mit einer Muslimin verheiratet, hat drei Kinder und ist Wissenschaftler. Vielleicht hören ihm die Leute zu.“
Und ja, Herr Dr. Blume, wir hören Ihnen zu, weil Ihre Aufgabe wichtig ist und Aufmerksamkeit verdient. In ihrer Tätigkeit als Antisemitismusbeauftragter haben Sie uns die Fähigkeit gelehrt, die Fehler zuerst in sich selbst zu suchen, bevor man andere damit befleckt. Nur so entsteht Gemeinschaft in Frieden, Liebe und Vielfalt.
Jule Droll (KS2d)
,,Es gibt viel Gutes im Menschen, man muss es nur wecken!”
VeröffentlichungMontag, 27.01.2020
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