“Die Deutschen schauen Tatort und sind pünktlich”

Schüleraustausch über Länderklischees

Montag, 21.12.2020

Achtklässler chatteten mit französischen Schülern über gängige Länderklischees. Die Städtepartnerschaft soll trotz Corona gepflegt werden.

“Plus ça change, plus c’est la même chose”, sagte einmal der französische Schriftsteller Jean-Baptiste Alphonse Karr. Frei übersetzt: Je mehr sich die Dinge ändern, desto eher bleibt alles beim Alten. In Mannheims Schulen hat man sich auch zu Corona-Zeiten eine Tradition bewahrt, und hält am Schüleraustausch fest. Nur, dass sich die französischen und deutschen Schüler derzeit nicht real, sondern im virtuellen Raum begegnen. Und beim Video-Chatten nicht nur miteinander, sondern auch voneinander lernen.

“Dass der klassische Schüleraustausch in diesem Jahr nicht funktioniert, war schnell klar. Aber Städtepartnerschaften sind ein wichtiges Fundament für die deutsch-französische Freundschaft. Wir wollten nicht ganz darauf verzichten”, sagt Ideengeber David Linse, Leiter des städtischen Fachbereichs “Internationales, Europa und Protokoll”. Gemeinsam mit dem Institut Français stellte man eine Alternative auf die Beine: die Verlegung der Begegnung ins Digitale.

Den Auftakt machte das Bach-Gymnasium. Eine Woche lang, 90 Minuten pro Tag saßen Achtklässler gespannt vor ihren Bildschirmen. Genauso wie ihre neuen, zugeschalteten Freunde in Salon de Provence in der Nähe von Marseille. “Sie sollten sich zunächst spielerisch kennenlernen”, erzählt Workshop-Leiter Sylvain Fustier, der als Dolmetscher mit eingeloggt war. Französische Schüler mussten sich zum Beispiel fünf typische deutsche, weibliche Vornamen überlegen, die Deutschen fünf Käsesorten der Grande Nation aufzählen. Vor allem aber wurden die Schüler mit Klischees aus der Reserve gelockt – und diese schnell widerlegt. Wir Deutschen sind beim Blick auf unsere Nachbarländer schnell mit Vorurteilen zur Hand: Franzosen essen nur Baguette, Schnecken und Froschschenkel.

Wie aber sieht es umgekehrt aus? “Deutsche sind groß, blond, blauäugig. Sie schauen alle ,Tatort’ und sind immer pünktlich” – so dachte Schülerin Clémence vor dem Online-Projekt, doch dann musste die 14-jährige Südfranzösin beim Video-Chat erst einmal geduldig auf die sich verspäteten, deutschen Mitschüler warten. Und wurde auch sonst bei der Begegnung im virtuellen Raum eines Besseren belehrt. Till zum Beispiel ist schwarzhaarig, und passt auch sonst so gar nicht in das vorgefertigte Bild. “Es war witzig, wir haben eher Gemeinsamkeiten als Unterschiede festgestellt”, sagt der 13-jährige Gymnasiast.

Mannheims Erster Bürgermeister Christian Specht, zugleich Vorsitzender des Institut Français, fühlt sich beim (Gedanken-)Austausch ein wenig in die eigene Schulzeit zurückversetzt. “Es ist eine faszinierende und extrem wichtige Erfahrungen, Gleichaltrigen aus anderen Ländern zu begegnen. Das muss auch jetzt in einer anderen Form für die Schüler möglich sein. Die Pflege der Städtepartnerschaften darf auch in Corona-Zeiten nicht vernachlässigt werden. Sie ist Teil des gemeinsamen Friedensprojekts.”

Der virtuelle Schüleraustausch könne durchaus ein Modell für andere Städte werden. Und sprichwörtlich Schule machen. “Es ist als pädagogisches Instrument auch für die Zeit nach der Pandemie vorstellbar”, erläutert Specht und erntet Kopfnicken bei der virtuell zugeschalteten Lehrerschaft, ob in Frankreich oder Mannheim.

“Das Eis war schnell gebrochen. Die Schüler fanden es schade, dass wir nun nicht ‚in echt‘ nach Mannheim fahren”, erzählt Sandra Mozzillo. “Vielleicht im nächsten Sommer”, fügt die französische Deutschlehrerin hinzu. Bis dahin muss das Netz der Freundschaft sozusagen digital gespannt werden. “Es ersetzt nicht die echte Begegnung, aber es zeigt uns, wie wir die Möglichkeiten der Digitalisierung ausschöpfen können, auch für interkulturelles Lernen”, so Specht.

(aus: RNZ, 21.12.20, von Marco Partner)

“Die Deutschen schauen Tatort und sind pünktlich”

VeröffentlichungMontag, 21.12.2020

KategorienAlle Artikel, Französisch, Medienbildung und Digitales Lernen, Schüleraustausch, Sprachen