„Du kommst auch darin vor”
Tania Witte liest aus Marilu in allen 9. Klassen
Dienstag, 13.04.2021
Wie weit darf Literatur gehen? Was sollte Jugendlichen zugemutet werden? Wie ‚echt‘ kann ein fiktionaler Text werden? Anspruchsvolle Fragen, um die die Leseauftritte Tania Wittes in den 9. Klassen kreisten. Die Preisträgerin und Stipendiatin des Mannheimer Feuergriffels führte die fünf Klassen in die Welt ihres ganz aktuellen, gerade erschienenen Jugendromans „Marilu” ein. Sie las, jeweils per Video zugeschaltet, Schlüsselstellen des ersten Romanteils, die sie durch zwischengeschaltete Passagen in freiem Erzählen miteinander verknüpfte. Dadurch wurden die Schüler*innen mit den Protagonisten des Textes vertraut. Die 17-jährige Elli, eine Mannheimerin, wird mit ihrer Vergangenheit konfrontiert – sie hat an einer Art Erschöpfungsdepression gelitten und war in einer Einrichtung für Kinder und Jugendliche untergebracht –, wo sie die Titelfigur Marilu kennenlernte. Marilu ist „manisch-depressiv“, so die Diagnose; sie hat sich in einer manischen Hochphase für Elli und ihren Bruder Lasse nun ein makabres Spiel ausgedacht: Die beiden sollen sich auf eine Schnitzeljagd um Marilus Leben einlassen: Schaffen sie es, die von Marilu ausgelegten Spuren immer rechtzeitig zu deuten und Marilu zu finden, verhindern sie ihren Suizid. Falls nicht… . Für Elli und Lasse ein Dilemma: Sollen sie nicht besser einfach die Polizei verständigen und Elli suchen lassen oder das Spiel mitspielen und die ‚Quest‘ beginnen, auch auf die Gefahr hin, zu spät zu sein?
Wie der Roman endet, verrät die Autorin unseren Schüler*innen – natürlich – nicht. Doch sie gibt leise Entwarnung: Ein Buch aus ihrer Feder solle die Lesenden nicht in schlechterer Stimmung zurücklassen als vor der Lektüre, so ihr Selbstanspruch.
Was kann Literatur leisten, gerade in Zeiten einer Pandemie, wenn jede/r mehr auf sich selbst gestellt ist? In den Zwischen- und Nachgesprächen konturierte Tania Witte ihr Verständnis von Literatur. Sie möchte mit ihrer Hilfe Tabuisiertes besprechbar machen, indem es um ‚ausgedachte‘ Figuren geht, die ganz handfeste Probleme mit sich herumschleppen und mir damit ganz ähnlich sein können. Sie schafft es dadurch, schambesetzte Themen in den Blick zu nehmen, ohne Menschen bloßzustellen: Wie gehen Jugendliche mit dem herrschenden Druck um? Wie erleben andere, die nicht ich sind, die Welt? Wie begegne ich Menschen, die total anders sind als ich? Tania Wittes Buch eröffnet den Jugendlichen dadurch, wie divers unsere Gesellschaft ist, wenn man sich traut, richtig hinzuschauen. Über die Figuren werden Mitglieder von Minderheiten zugänglich, ohne vorgeführt zu werden. Doch kann sie das überhaupt, sich völlig in andere Menschen hineindenken? „Mittelgut“, findet Tania Witte selbst. Es brauche „Recherche, Fantasie und Handwerk“, um daraus Literatur werden zu lassen.
„Du kommst auch darin vor”
VeröffentlichungDienstag, 13.04.2021
KategorienAlle Artikel, Buch am Bach, Deutsch, Veranstaltungen